“LOOK AT ME,… so beautiful, so fun”
Mode – eine banale Frage? Nur wenige Phänomene, die unserem Alltag so nahe sind wie das Bekleiden des Körpers, erklären das Verhalten heutiger demo- kratischer Gesellschaften besser. Mode, die sich zunehmend in allen sozialen und Altersgruppen verbreitet, stellt eine perfekte Metapher für das heutige Leben dar. J. Baudrillard sieht in der Mode, die auf dem Prinzip der „Verführung und des festgelegten Verfallsdatums“ (1) beruht, eine Schlüsselachse für das Verständnis der Funktionsweise der heutigen Gesellschaft, die gierig nach Spektakeln ist und sich zusehends über Konsum definiert.
Die traditionellen Geschichten des Wandels der Kleidung erklären das Phänomen der Mode als mit sozialen Prestige verbunden und als Mittel, um die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Klasse oder das Streben nach einer höheren Klasse auszudrü- cken. Von der Elterngeneration geerbten Werte wie Eleganz und Anstand sind heute überholt. Mode „verkauft“ nun Individualität, Selbstverwirklichung, die Flucht vor Stereotypen. Sie verkündet „demokratisch“ die Bestätigung der Differenz und bietet dabei ein vielfältiges Repertoire möglicher Codes zur Selbstverwirklichung und Konstruktion der eigenen Identität (die unvermeidliche Massifizierung, der man ausgeliefert ist, wird dabei vermutlich nur durch eine Illusion von Individualismus kaschiert). Interessant ist es, über das heutige Körperbild nachzudenken, das mit dem Phänomen Mode engverwoben ist. Anpassungsfähig und launen- haft wie die Mode selbst, bedient sich der Körper heute Chirurgie, Diäten oder allerlei Produkte wie Botox oder Silikon, um sich zu modellieren und zu verjüngen. Körper und seine Merkmale orientieren sich am Maß des Konsumenten, der zum Gestalter seiner eigenen, individualisierten Identität wird.
Die Ausstellung präsentiert die fotografischen Arbeiten von Anita Frech (St. Pölten, 1973) und Jakob Lena Knebl (Wien, 1970). Beide Künstler:innen verwenden ihre eigenen Körper sowie Kleidung als Bühne für ihre Inszenierungen. In den Bühnenbildern von Anita Frech bilden Kleidung und Architektur eine Einheit. Die Künstlerin nutzt kompositorische textile Mittel, die sie im hinteren Teil der Kulissen platziert und die mit der Kleidung, die aus dem gleichen Stoff besteht, interagieren. In Anlehnung an die venezianischen Falten „à la mode Fortuny“ markiert das Textil die Anatomie des dahinter hervortretenden oder sich verbergenden Körpers. Die Ausdrucksmöglichkeiten in der Drapierung, deren Volumen die Künstlerin durch Farbflächen hervorhebt, können mit jenen malerischer Kompositionen verglichen werden. In der Ausstellung sind kleinformatige Fotografien zu sehen, in denen erneut die Abwesenheit-Anwesenheit des Körpers – fragmentiert, verzerrt oder wie in einer Collage ausgeschnitten – mit beunruhigender Schönheit als Teil einer Inszenierung erscheint.
Die Porträts der Performerin Jakob Lena Knebl in unterschiedlichen Kostümen (viele davon aus ihren Performances), mit unet- rschiedlichem Make-up und Posen, sind Konstruktionen unterschiedlicher „Ichs“, die mit Humor und Ironie traditionelle Codes unterwandern und Grenzen ausloten: männlich-weiblich, sinnlich und hedonistisch, aber auch grotesk und monströs – mit An- spielungen auf künstlerische Avantgarden und das Varieté-Theater, von Bauhaus bis Mickey Mouse. Es entsteht eine Vielzahl von „Ichs“, flüchtig und wandelbar, die eine Identität erweitern und vervielfachen und sich damit in der Vielfalt ihrer Repräsentationen auflöst.
Sowohl Jakob Lena Knebl als auch Anita Frech integrieren in ihren Fotografien Symbole und Merkmale der Modesprache, wobei sie sich bewusst mit einigen ihrer Codes auseinandersetzen. Beide Künstler:innen nutzen ihre eigenen Körper mit verschiedenen Requisiten und Bühnenelementen zur Komposition jeder einzelnen Aufnahme. In dieser Ausstellung möchte ich die Arbeiten von Jakob Lena Knebl (die bisher meist im Kontext von Gender-Diskursen gesehen wurden) sowie Anita Frechs Fotografien (deren Elemente oftmals symbolisch und abstrakt als besonders feminine Ikonografie interpretiert wurden), vom Gender-Thema lösen und diese Bilder im Zusammenhang mit Mode als zeitgenössischem Phänomen neu deuten.
Unter Rückgriff auf Ausdrucksformen, wie sie von feministischen Künstlerinnen der 1960er und 1970er Jahre verwendet wur- den – die den eigenen Körper als „direkte Waffe“ ihrer Anliegen einsetzten – sowie auf spätere poststrukturalistische Ansätze, die Geschlechtsidentitäten als gesellschaftlich und sprachlich geformt verstehen, sind Körper und Hülle in den präsentierten Bildern der Ausstellung als Teil einer elaborierten Inszenierung zu lesen, vergleichbar mit raffinierter Modefotografie. Ähnlich wie heutige Modeschauen, die mittlerweile eher für das Dokumentieren dieser mit Mobilgeräten als für das eigentliche Ereignis gedacht sind, sind die gezeigten Bilder so konzipiert, dass sie den Blick des Publikums sofort fesseln. Sie sind ebenso verführerisch wie kraft- voll, emotional wirksam. Reine Werbewirkung.
Exhibitionistische Individualität, ständige Erneuerung, unwiderstehliche Verführung – das ist die Sprache der Mode. Und ist es nicht genau das, was letztlich unsere heutige Vorstellung von Kultur prägt?
(1) J. Baudrillard: La société de consommation, 1970
Text zur Ausstellung „LOOK AT ME … so beautiful, so fun“, CoCA Museum, Pl, 2014